Die Geschichte der Neustadt und ihres verwegenen Rufes begann in den ruinösen 90ern.
Das bunte Häuflein experimentierfreudiger Schauspieler bekommt von der Stadt keine Genehmigung zur Nutzung der alten Fabrik, also wird sie kurzum besetzt. Zwei Tage später gibt es die erste Vorstellung. Eine echte Premiere. Und ein riskantes Statement gegen die herrschende Kulturpolitik.
Dresdens erstes freies Theater manövriert sich durch die euphorische Nachwendezeit. Die Bestuhlung ist geborgt, aus den Wänden winken lose Kabel und eine Heizung gibt es nicht. Der hehre Idealismus verlangt langsam aber sicher eine realistische Basis. Im März 1990 gründet sich der Verein „projekttheater dresden“, um wenigstens eine juristische Grundlage in dem Wust aus chaotischen Aufbaubestrebungen zu schaffen.
Vom Besetzer zum Besitzer
„Und dann“, sagt Detlef G. Skowronek, „hab ich das Haus gekauft“. Die Besitzer waren zwei ältere Damen aus Berlin, die sich überzeugen ließen. In der turbulenten Biographie des Projekttheaters ist dieser Schritt ein entscheidender. Skowronek ist ein Macher, ein zielstrebiger, dickköpfiger. Er kennt die „theaterbrigade“ über die Szene-Zeitung „ReiterIn“. Der studierte Physiker arbeitet als Unternehmensberater und ist bereits nach einem halben Jahr empfindlich gelangweilt. Das zappelnde Theater kommt ihm gerade recht und er beginnt zu strukturieren. Ab jetzt gibt es eine künstlerische und eine geschäftliche Leitung, Skowronek kümmert sich um Buchhaltungskram und Sponsoren, reist umher und wirbt Künstler an.
Experimentelles Haus
Das Netzwerk entspinnt sich und das Projekttheater erarbeitet sich einen Ruf als provokantes, experimentelles Haus und Alternative zu Stadttheatern. Internationale Companys bereisen das „Tal der Ahnungslosen“, das Programm besteht aus Lesungen, Bühnenstücken, Konzerten und allen Patchwork-Variationen dieser Genres.
Das erste große Projekt ist die Internationale Tanzwoche 1992, das begeisterten Zuspruch erntet. Über 800 Besucher wohnen der Abschlussperformance im Stahlträgernetz der unsanierten Yenidze-Kuppel bei. Wie in jedem guten Drama folgt nach diesem Klimax das retardierende Moment: es kracht in der Geschäftsleitung. Für zwei Jahre steigt Skowronek aus und kümmert sich nur noch um den Tanzbühne e.V. – bei dem künstlerischen Konzept des Projekttheaters kommt es zu unüberbrückbaren Differenzen, die Schulden stehen bis zum Hals. Erst zu seinen Konditionen geht Skowronek wieder an Bord des Narrenschiffs und wird geschäftsführender Vorstandsleiter.
Dabei hat man es mit dem Dresdner Publikum nicht immer leicht, sagt Skowronek. Das neigt zur Trägheit und muss oft von extravaganten Ideen überzeugt werden, bis es sich zu Vertrauen und Treue bekehren lässt.
Ein Theatersaal ist wie das sprichwörtliche Glas mal halb voll, mal halb leer. Jeder der vier Mitarbeiter gibt sein Bestes, und so überlebt das Projekttheater Saison für Saison. Skowronek nimmt nicht gern den Wischmob in die Hand, dafür steht er bei Premieren als erster an der Kasse, um Kontakt zum Publikum zu halten. Und er scheut sich nicht, den Innenminister um Requisiten anzuhauen. Hubschrauber zum Beispiel.
Das Projekttheater ist eine Institution, deren Rädchen mit Herzblut, nicht mit Öl geschmiert werden. Soziale Kompatibilität steht über Gewinn – und sogar über Kunst. Das ist radikal, nicht immer politisch korrekt aber sehr sympathisch. Und durch Tradition geadelt!
Projekttheater Dresden
- Louisenstraße 47, 01099 Dresden
- Spielpläne, Karten, Historisches und Bilder unter www.projektheater.de
